Ver.di ruft zu bundesweiten Warnstreiks im öffentlichen Gesundheitswesen auf

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Kurz und knapp: Wir stellen uns für euch die folgenden Fragen, um euch knackig die wichtigsten Informationen zu servieren:

  1. Wann wird gestreikt und wer ruft dazu auf?  
  1. Warum wird gestreikt?  
  1. Was war vorher?  

Wann wird im Gesundheitswesen gestreikt und wer ruft dazu auf?

Die Nachrichten haben es in den letzten Tagen bereits verkündet: Am 14. und 15. März 2023 ist es wieder soweit: Im Gesundheitswesen wird gestreikt. Wieder einmal und mit noch mehr Energie als zuvor gehen Pfleger:innen auf die Straße und demonstrieren für bessere Arbeitsbedingungen. Der Frust und die Enttäuschung sind groß, da sich nach den Klatschfanfaren, die in der Coronazeit von den Balkons hallten, dennoch nichts getan hat. Damals schöpften viele die Hoffnung, dass die Pflege endlich mehr ins Zentrum des öffentlichen Interesses rückt. Das klar gesetzte Ziel: Marode Arbeitsbedingungen und Missstände verbessern, die schon so viele Jahre im Gesundheitssystem herrschen. Doch die Aufmerksamkeit war kurz und beinahe genauso schnell wieder fort, wie sie aufkam. Verändert hat sich seitdem jedoch wenig bis gar nichts.   

„Gesundheit ist Gold wert und wir sind es auch“ 

Am 14. und 15. März ruft die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Rahmen der Tarifrunde im öffentlichen Dienst bundesweit Beschäftigte von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Rettungsdiensten zu Warnstreiks gegen die neuesten Ergebnisse der Tarifrunden auf. Motto des Streiks ist: „Gesundheit ist Gold wert und wir sind es auch.“ Medial werden die Pfleger dabei gut begleitet, sodass der Streik bereits vor seinem Beginn in aller Munde ist. Sie streiken also in maximaler Öffentlichkeit, was die Effektivität erhöhen dürfte.  

Die letzten Entscheidungen und die Aufforderung, sich zu einem Sonderopfer bereitzuerklären, trafen bei den Beschäftigten auf heftigen Widerstand und wurden von ver.di als „respektloses Angebot, das eine starke Antwort erfordert“ bezeichnet.  

Wenig ist übrig geblieben von den Versprechungen aus der Corona-Zeit und noch weniger ist tatsächlich bei den Angestellten in der Pflege angekommen. Dass diese nun enttäuscht und frustriert über solch eine Forderung sind, versteht sich von selbst. Sie kämpfen nun noch engagierter als zuvor für ihre Rechte mit dem Ziel, etwas zu bewegen. Und bewegen muss sich in der Pflege viel!  

Warum wird Mitte März wieder im Gesundheitswesen gestreikt? 

Gestreikt wird gegen das in der zweiten Tarifverhandlungsrunde vorgelegte Angebot von Bund und Kommunen, welches für die Beschäftigen deutliche Verluste der Kaufkraft bedeuten würde. Darüber hinaus fordern die Arbeitgeber auch noch „Sonderopfer“ von Beschäftigen in Kliniken und in der Altenpflege. Die Arbeitgeber wollen den Tarifvertrag zur Zukunftssicherung der Krankenhäuser (TV ZUSI) und den Tarifvertrag Soziale Dienste für die Altenpflege wieder in Kraft setzen. Wenn es dem Betrieb wirtschaftlich schlecht geht, sollen diese auf ihr Gehalt verzichten. Dass dies auf Entsetzen stößt, ist klar.  

Was ist ein Sonderopfer?  

Ein Sonderopfer ist ein Ausdruck, der aus dem Bereich der Enteignung und der Entschädigungsrechtsprechung kommt. Ein Sonderopfer liegt vor, wenn eine Ungleichbehandlung eines Betroffenen im Vergleich zu anderen vorliegt und dieser durch die Folgen der Handlung besonderen Belastungen ausgesetzt ist.

Werneke: „Das Angebot ist respektlos“

Dieser Vertrag führte zu heftigen Widerständen und Protesten“, so ver.di-Vorsitzender Frank Werneke. Er bezeichnet das Angebot als respektlos. Die Beschäftigten hätten in der Corona-Pandemie alles gegeben, seien extremen körperlichen und seelischen Belastungen ausgesetzt gewesen und nun sollen sie der Gefahr ausgesetzt sein, dass Arbeitgeber ihr Gehalt kürzen können? 

Die ver.di-Forderung sind 10,5 Prozent, monatlich mindestens 500 Euro mehr Geld. Nachwuchskräfte sollen monatlich 200 Euro mehr erhalten. Die Inflation ist sehr hoch und die Preise werden nicht wieder sinken. Die Kosten des täglichen Lebens belasten die Pflegekräfte, sodass ver.di diese Erhöhungen für sehr gerechtfertigt sieht.  

Im aktuellen Fachkräftemangel ist solch ein Vorgehen durchaus riskant. Der Mangel wird sich eher noch verschlimmern: Ursachen sind sozialen Gründe, wie Überlastung und Nachwuchsmangel und demographische Gründe, wie Überalterung der Gesellschaft und Umlagerung der Pflegestrukturen. Statt um Fachkräfte zu werben, stoßen sie Angestellte mit der Aufforderung im Krisenfall Sonderopfer zu erbringen ein weiteres Mal vor den Kopf. Die Kliniken und Pflegeeinrichtungen sind auf Pflegekräfte angewiesen und könnten diese wohl auch leicht halten, da die meisten Pfleger:innen diesen Job aus Idealismus angetreten haben. Doch die Arbeitsbedingungen sind aktuell in einer derartigen Schieflage, dass viele Pfleger:innen sich nach Alternativen umsehen. Manche brechen komplett aus dem System aus, hängen ihren Job an den Nagel und schulen um. Andere sehen sich nach alternativen Anstellungsmethoden um. Noch wird gestreikt und es besteht eine Diskussionsgrundlage, auf der man sich einigen kann. Im Prinzip ist es ein politisches Problem. Die Kliniken befinden sich in einer schwierigen finanziellen Lage, da die Mittel zur Strukturerhaltung nicht ausreichend gedeckt werden. Daher wird am Personal gespart. Hier braucht es eine politische Lösung. Bereits im letzten Jahr gab es Streiks im Gesundheitssystem. Letztlich wurde ein Entlastungstarifvertrag erreicht, der eine Art Punktesystem einführte, dem sich die sechs Unikliniken Nordrhein-Westfalens verpflichteten. 

Was ist die Vorgeschichte der aktuellen Streiks im Gesundheitswesen?  

Die VKA hat in ihrem ersten Angebot von Mitte Februar vorgeschlagen, den Tarifvertrag zur Zukunftssicherung der Krankenhäuser, sowie den Tarifvertrag Soziale Dienste für die Altenpflege wieder in Kraft zu setzen. Würde man diese Tarifverträge im konkreten Fall anwenden, könnten Kliniken bis zu 6% und Arbeitgeber in der Altenpflege bis zu 5 % weniger Lohn zahlen.  

Zuletzt hatten die Arbeitgeber eine Erhöhung der Löhne um 3% in diesem und weitere 2% im kommenden Jahr vorgeschlagen. Außerdem stellten sie steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 2500 Euro verteilt auf drei Jahre in Aussicht. Dieses Angebot lehnten die Gewerkschaften jedoch ab.  

Bereits im vergangenen Jahr gab es ausgedehnte Streiks, die schließlich zum Tarifvertrag „Entlastung“ führten. Die sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen stimmten nach 77 Tagen Streik und über 25 Verhandlungstagen zu, verschiedene Modelle im Klinikalltag einzuführen, die die Beschäftigten dort merklich entlasten. Zum Beispiel wurde das Zahlenverhältnis von Beschäftigten und Patienten genau festgelegt. Wird eine gewisse Quote unterschritten, erhalten die beschäftigten Entlastungspunkte, die sie sich dann auszahlen lassen oder in einen Freizeitausgleich tauschen können. Für jeweils sieben Punkte gibt es einen Urlaubstag. Im ersten Jahr der Umsetzung können so bis zu 11 freie Tage erreicht werden, im zweiten Jahr 14 und im dritten Jahr sogar 18 freie Tage. Die Kliniken haben eineinhalb Jahre Zeit, die nötigen IT-Systeme dafür umzusetzen.  

Außerdem wurde der Aufbau von 30 zusätzlichen Vollzeitstellen pro Uniklinik vereinbart. Im Tarifvertrag „Entlastung NRW“ werden darüber hinaus eindeutige Entlastungsregeln für Auszubildende festgelegt. Sylvia Bühler „Die Krankenhausfinanzierung nach Fallpauschalen muss dringend abgelöst werden, denn sie schadet sowohl dem Patienten als auch den Beschäftigten, weil sie falsche Anreize setzt.“

Es bleibt also spannend. Der Entlastungstarifvertrag dürfte sich im kommenden Jahr stark auf die Besetzung in Krankenhäusern und Pflegeheimen auswirken, dann nämlich, wenn die Beschäftigten ihre Entlastungstage nehmen und ausfallen. Dann dürfte es zu Personalengpässen kommen. Was die aktuellen Streiks ergeben und ob die Idee der Sonderopfer Bestand hat, bleibt abzuwarten. Finanzielle Einbußen von Pflegekräften zu fordern, die sowieso Mangelware sind, ist aktuell denkbar ungünstig.  

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